Illustration | Person auf Fahrrad mit Gänseblümchen als Rädern

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Vorsicht, Wachstum!

Warum der Tourismus wächst – und nachhaltiger werden muss

Die Welt und mit ihr der Tourismus stecken in einer Zeitenwende. Es gilt sich auf neue Bedingungen einzustellen. 

Tourismus: Darunter verstand man früher die Aktivitäten von Menschen, die sich in ihrer gesetzlich gewährten Urlaubszeit von den Anstrengungen des Arbeitslebens erholten. Doch das war einmal. Tourismus ist heute etwas, das ganzjährlich stattfindet: Zwischendrin, wenn ein Trip reinpasst, über das Wochenende. Ein paar Tage hier, eine Woche da. Die Mobilität nimmt stark zu und geht mit einer wachsenden Belastung der gesellschaftlichen Strukturen und Services einher. Das ist kein vorübergehender Trend. Das Wachstum wird kräftig ausfallen und könnte Städte und Regionen an ihre Belastungsgrenze bringen.

Tourismus wird zum Lebensstil 

Menschen leben nicht mehr so linear wie früher – Kindergarten, Schule, Ausbildung, ein Beruf mit zwei bis drei Wochen Urlaub im Jahr, dann eine ruhige Pension –, sie arbeiten öfter im Ausland, machen Kurztrips, zelebrieren Urlaub als Lifestyle und besuchen Städte zur geistigen Bereicherung. Es gibt veränderte Lebensstile, die viel Mobilität verursachen und die gleichen Ressourcen und Infrastrukturen beanspruchen wie der klassische Tourismus: Logistik, Versicherung, Betreuung, Essen, temporärer Wohnraum. „Das wird viele Probleme auslösen“, sagt Norbert Kettner, Direktor des Wiener Tourismusverbandes. „Wir können als Branche also nicht eine Rolle im Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit spielen, wir müssen, weil das, was wir momentan als Tourismus beschreiben, zum Lebensstil wird.“ 

Illustration | Spittelau Müllverbrennungsanlage, Straßenbahn, Bus, Fahrrad, Fußgänger:in, Bach mit Enten, Nachhaltigkeit

37 Milliarden Trips pro Jahr

Die Welttourismusorganisation UN Tourism und Oxford Economics prognostizieren, dass sich die Ankünfte im internationalen Tourismus von etwa 0,5 Milliarden 1995 auf mehr als zwei Milliarden 2030 vervierfachen werden. Europa hat den größten Anteil – und Wachstumstreiber sind die Städte.  Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Und mehr noch.

Man habe sich einmal angesehen, erzählt Dirk Glaeßer, Direktor für nachhaltige Entwicklung bei der Welttourismusorganisation, welche Prognose herauskomme, wenn man auch den Binnen- und Tagestourismus global miterfasse, besonders in stark wachsenden Ländern wie Indien und China. Demnach wird der Tourismus 2030 ungefähr 37 Milliarden Trips pro Jahr verursachen. „Das sind vier bis fünf Reisen pro Erdbewohner:in“, sagt Glaeßer. Gutes, nachhaltiges Wachstum sei deshalb das Gebot der Stunde. „Man muss den Unternehmen auch klarmachen, dass Widerstandsfähigkeit im Aufstellen der Tourismusprodukte notwendig ist, weil es sonst zu einer Abhängigkeit von Gästen und der Wertschöpfung kommt, die sie bringen. Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit sind eng miteinander verknüpft, und die nächsten Krisen kommen bestimmt. Ihr Rhythmus und ihre Stärke werden zunehmen.“

Tourismus wird Beitrag leisten

Was Wien beim Thema Wachstum will, ist klar: Vorreiter einer guten Entwicklung bleiben. Im Tourismus geht es darum, Überlastungen zu vermeiden, optimalen Tourismus zu erreichen – von dem Besucher:innen und Bewohner:innen gleichsam profitieren –, und dabei auf altbekannte Qualitäten des Standorts zu setzen. Die Stadt hat klare Ziele, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Raus aus Gas, raus aus Asphalt: An Initiativen mangelt es nicht. Es gibt einen Klimafahrplan, und laut Klima City Strategie soll Wien bis 2040 klimaneutral sein, der Materialfußabdruck um 40 Prozent sinken und der Endenergieverbrauch um 45 Prozent. Ein sehr ambitioniertes Ziel. Die Stadt wächst, Produktion und Konsum sind hoch.

Der Tourismus wird seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten. Themen sind hier Ganzjahresjobs, Nahrungsmittel und Gastronomie, der Energie- und Ressourcenverbrauch in Hotels und anderen Beherbergungsformen. Auch im Tourismus gab es – bei stark steigenden Besucher:innenzahlen – einen leichten Anstieg der konsumbasierten Umweltbelastung. Eine Studie der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU), Wirtschaftsuniversität und Technischen Universität kommt auf 1,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent 2020: Das sind sieben Prozent des gesamten Wiener CO2-Fußbadrucks. 

Wachstum von Ressourcenverbrauch entkoppeln

In Zukunft werde es darauf ankommen, eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu schaffen, sagt Nina Eisenmenger, Professorin am Institut für Soziale Ökologie der BOKU: „Es braucht eine gebündelte Anstrengung, um den Ressourcenverbrauch auch absolut zu reduzieren, obwohl in den jüngsten Jahren schon viel passiert ist.“ Die größten Hebel, sagt sie, seien innovatives Bauen, die bessere Nutzung von Wohnraum, Zirkularität in der öffentlichen Beschaffung, und: die Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte. „Da muss noch viel passieren, damit wir in ein nachhaltiges Mobilitätsschema kommen.“ Auch das Thema Wachstum solle man diskutieren: „Was soll denn wachsen? Die Stadt, die ganze Wirtschaft, jede Branche? Welches Wachstum braucht man unbedingt für eine zufriedene Lebensweise? Ich würde Wachstum nicht als wichtigste Prämisse hinstellen, sondern Wohlstand, Gesundheit, und eine lebenswerte Stadt.“